Knie kaputt, Frisur ist scheiße
Von Frank Schwarzberg
Aus Bochum am Freitag abend, nach der Demo gegen rechts, eben ’rüber nach Dortmund, wo auf einem ehemaligen Schrottplatz eine Band aus Essen spielt – willkommen im Ruhrgebiet. »Auswärtssieg!« ruft am Ende jemand begeistert nach einem phantastischen Konzertabend im Junk Yard. So ahne ich als Bochumer Fußballanhänger zumindest schon mal, wie sich das anfühlt. Zum Glück ist am Tag darauf Heimspiel.
»Ich hab’ keine Sorgen mehr / Melodien zieh’n vor mir her«, singen die drei Musiker programmatisch in dem Stück »Fehler« kraftvoll eines ihrer ersten Stücke. International Music sind die Schwesterband der Düsseldorf Düsterboys. Typisch für beide sind die verrätselten, assoziativen Texte, die die Poesie im Alltäglichen aufspüren, um sie zu zelebrieren. Sänger Pedro Goncalves Crescenti und Gitarrist Peter Rubel spielen auch bei den Düsseldorf Düsterboys, bei International Music komplettiert Drummer Joel Roters die Band, das Instrumentarium mit Schlagzeug, E-Gitarre, Bass, Keyboard und Synthesizer den Gesamtsound. Timeless Melancholic Music heißt das eigene Label, das sie nach dem Erfolg der Vorgängeralben »Die besten Jahre« (2018) und »Ententraum« (2021) gegründet haben. Gut die Hälfte der Setlist des Abends in Dortmund besteht aus Stücken der ersten beiden Alben. »Mont St. Michel« vom Album »Die besten Jahre« spielen sie ebenfalls sehr früh – augenblicklich euphorisiert schreien alle mit: »Knie kaputt, Frisur ist scheiße / Die besten Jahre sind vorbei.«
»Endless Rüttenscheid« heißt die aktuelle Platte, »Kraut« darauf der erste Song, in Dortmund an dritter Stelle gespielt: krautrockig im stoisch treibenden Beat, ansonsten ein satter Rocksong mit bratzigem Gitarrensound, angenehmen Hooks, psychedelischen Verzierungen und einem diffusen Gefühl von Weite.
Überhaupt Weite. Sie hat auch damit zu tun, dass sich weder Musik noch Texte eindeutig festlegen lassen. Bereits der Albumtitel ist ambivalent. Endless … (Surfen, himmelblau, Meer, weiter Blick) … Rüttenscheid (schmale Bürgersteige, Fahrradstraße voller Autos, Hipster, Poser, Tand). In einem Interview meinte Crescenti, Rüttenscheid sei »ein absurder Ort«. Einerseits hohe Mieten, SUV- und Markenangeberei, andererseits eine gute Infrastruktur, Kunst, »viele Kindergärten und Programmkinos«. »Endless Rüttenscheid« sei in erster Linie eine poetische Wortkombination, stelle die Frage, was Realität und Anspruch sei. »Genau dafür steht dieser Stadtteil in all seinen Facetten ganz gut.«
Auf der Bühne spielen sie vor einer großen Luftaufnahme der Essener Innenstadt, komplett mit A 40, Hauptbahnhof und erschreckend vielen Hochhäusern. »Und dieses Foto leuchtet gerade mit nur fünf Prozent der möglichen Helligkeit«, lacht Rubel und rutscht sofort, wie in den Songs, rüber auf eine verspielte philosophische Ebene: »Das wäre auch ein gutes Motto für den Hauptbahnhof und Essen überhaupt: fünf Prozent der möglichen Helligkeit.«
Später gibt noch mal ein bisschen Krautrock, sogar Rock ’n’ Roll auf, die Jungle World hörte Wave Pop und Psychedelic Rock raus. Alles da – und dann wieder weg. »Offenheit, Diversität, Spielfreude und Zärtlichkeit« sind International Music wichtig, das »Besingen utopischer Zustände« ist ihre Politik. In »Karma Karma« singen sie: »Und immer wieder fällt das Alte auseinander / Und immer blüht das Neue irgendwo auf.«
International Music: »Endless Rüttenscheid« (Timeless Melancholic Music)
Live: 19.2., Moritzbastei, Leipzig; 20.2., Waschhaus, Potsdam; 21.2., Gleis 22, Münster
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